Ausstellungen Rückschau

Kabinettausstellung Augen-Blicke der Sammlung Prinzhorn

Kabinettausstellung

Augen-Blicke der Sammlung Prinzhorn

 

10. September 2011 – 6. November 2011

 

Die Kabinettausstellung ergänzt den Beitrag des Fotofestivals THE EYE IS A LONELY HUNTER durch spannende Augenblicke: vielfältige Augen blicken den Besucher an: Orwellsche Augen, denen nichts entgeht, Augenherden, die gemeinsam ausschwärmen, Augenarchitekturen oder alienartige, eigenständige Augenwesen. Sie taxieren den Betrachter, nehmen ihn ins Visier, beobachten den Raum.

Das starre, einzelne Auge von Arthur Becker visualisiert etwas Unheimliches. Der papierene Träger scheint dadurch Leben zu erhalten und aus der passiven Rolle des Kunstobjekts herauszutreten: das Blatt blickt zurück. Durch die Umkehr der Blickrichtung wird der Schauende plötzlich zum Angeschauten, der Voyeur, der mit dem Blick verfolgt, zum Verfolgten, der sich durch den Blick fixiert und bloßgestellt fühlt.

Das Auge als allumfassendes Symbol für Zeit und Raum – „Simbolo Tempio e Spatio“ –  meint Federico Cappucci auf einer Postkarte, wenn er ein mit Dreieck und Strahlenkranz umfasstes Gottesauge darstellt. Dieses Auge der Vorsehung findet sich auch auf anderen Blättern wieder. So wacht das die Trinität repräsentierende, allsehende Auge Gottes etwa über ein kleines „Kindesherz“, das Michael Günther in seiner Zeichnung mit zwei Elternherzen verbindet.

Franz Karl Bühler betont das auf der Stirn lokalisierte „dritte Auge“ als das eigentlich wichtige Sehorgan, indem er über das Gesicht seines Kopfes einen Schleier legt. Das dritte Auge als das sechste der sieben Energie-Chakren ermöglicht die Erkenntnis des Seins. Mit ihm wird der Blick für Transzendenz, Weisheit und Erkenntnis geöffnet.  

August Natterer spiegelt sein Visionserlebnis von 1907 in einem blutunterlaufenen Augenpaar. „Meine Augen zur Zeit der Erscheinungen“ veranschaulichen die ungeheure Anstrengung, den Blick nicht abwenden zu können. In der Pupille des linken Feuer-Auges zeichnet sich ein schwarzes Kreuz ab, während die Iris leuchtend erstrahlt; im rechten Auge ist dem Strahlenkranz eine dornenkronenartige Doppelhelix aufgelegt, während in der Pupille beim genaueren Betrachten plötzlich der Schatten einer Figur sichtbar wird. Man glaubt sich selbst zu erkennen, gespiegelt in den Augen Natterers.

Das Auge wird nicht nur als Spiegel der Seele thematisiert, sondern auch als sezierendes Organ, das Einblicke ins Körperinnere erforscht: Louis Umgelter zeigt einen anatomischen Profilquerschnitt durch den Kopf eines Kleptomanen. Indem er das Sehorgan als Detailzeichnung am unteren Bildrand wiederholt, konfrontiert er das Auge des Betrachters mit seinem Ebenbild und problematisiert es zugleich als das, was des Gesehenen gierig habhaft werden will.

Die Mahnung an den Kleptomanen, „nur mit den Augen anfassen“, macht auf sprachlicher Ebene bereits die Verbindung zwischen Auge und Hand deutlich. Berthold L. kehrt diese Beziehung um: Er zeichnete eine mit der Innenfläche zum Betrachter erhobene Hand, deren Mittelfinger ein Auge trägt, das sich dem Betrachter zuneigt und ihn anblickt. In der Umkehrung Beziehung Auge – Hand schwingt etwas Unheimliches, Fremdes mit: Nicht das Auge fasst an, sondern die Hand sieht. Auf die Vermittlung, auf die erfolgreiche Vernetzung zwischen Sehen und Ausführen ist auch der Zeichner angewiesen, wenn er detailliert und naturgetreu wiedergeben möchte, was er sehenden Auges zeichnet.  

Ein synästhetisches Phänomen wie die Hand, die fühlend sieht, greift auch eine Federzeichnung auf, die in einer Partitur Augen als Notenköpfe verwendet und den Puls der Musik mit geweiteten Pupillen sichtbar zu machen versucht.

Die Ausstellung lässt dem Betrachter viele solcher Augen-Blicke offen und lädt ihn zum Sehen mit allen Sinnen ein.

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